Vor einigen Tagen lief mir ein Artikel der amerikanischen Fotografin und Psychologin Jenna Martin über den Weg, der sich damit beschäftigt, wie man aus dem, was man liebt, einen Beruf machen kann (und warum daran immer wieder gezweifelt wird).
Der Artikel hat mir sehr gefallen, und ich möchte die wichtigsten Thesen hier einmal zusammen fassen und mit meinen Erfahrungen anreichern.
Sie beginnt damit, festzustellen, dass viele von uns als Kind noch unbegrenzt träumen dürfen. Wenn ein 5-Jähriger stolz erzählt, dass er mal Rockstar werden will, lächeln die Erwachsenen und sagen: „Natürlich, mein Schatz, das wirst du.“
Ein bisschen später, wenn das Kind größer wird und immer noch die Idee hat, dass es mal das als Beruf machen kann, was es leidenschaftlich gerne tut, fallen die Reaktionen dann sehr anders aus. „Du weisst, dass die Chance, von einem Blitz erschlagen zu werden, deutlich größer ist, als die, Karriere als Schauspieler zu machen, oder?“
Zwei Argumente werden dann angeführt: 1. Leidenschaft alleine bringt dich nirgendwo hin. 2. Wo ist der Markt dafür?
So weit, so frustrierend. Kennen wir schon. Nun kommt aber der interessante Teil.
Talent und Leidenschaft werden häufig falsch verstanden.
Jenna Martin erklärt, warum die Begriffe Talent und Leidenschaft (engl. passion) häufig falsch verstanden werden.
Wenn ein Außenstehender das Talent eines Künstlers lobt, hat er häufig dessen ersten Schritte nicht erlebt. Denn die waren in der Regel ganz und gar nicht beeindruckend. Der Künstler hat schlicht und ergreifend sehr lange an seinen Fähigkeiten arbeiten müssen, bis die Ergebnisse so aussahen, dass jemand kam und ihn als „talentiert“ bezeichnete.
Jenna Martin unterscheidet nun zwischen Talent und Fähigkeiten und betont, dass man Fähigkeiten erlernen kann. Das heisst, ein Fotograf fühlt sich zwar auf natürliche Weise zur Fotografie hingezogen. Aber das macht noch keinen Fotografen aus ihm. Talent ist also zunächst nur die Anziehungskraft zu etwas, das man – mit ausreichend Arbeit – gut können kann. Es heisst nicht, dass einem alles mühelos zufällt.
Hier kommt die Leidenschaft ins Spiel.
Die Leidenschaft macht, dass man sich mit einem Thema so intensiv und ausdauernd auseinandersetzt, dass man irgendwann gut darin wird. (Wobei ein Künstler das von sich selbst nie behauptet. Die Passion treibt ihn weiter.)
Ich zum Beispiel habe endlos viele Stunden damit verbracht, mich in die Fotografie einzuarbeiten. Habe Bücher gelesen, Workshops und Seminare besucht, viele Stunden im Internet verbracht und mich von einem Artikel zum nächsten und durch zahllose Youtube-Videos gearbeitet. Und natürlich geübt, Fehler gemacht, Dinge verbessert.
Das ist nicht so ungewöhnlich. Es ist wahrscheinlich, dass auch du diesen Zustand der Leidenschaft für eine Sache kennst.
Und das, wofür man wirklich brennt und mit Ausdauer verfolgt, wird man schließlich auch beherrschen. Na gut, Kunst kann man nicht beherrschen. Aber das Prinzip ist klar.
Es braucht Zeit und Ausdauer. Und die Leidenschaft trägt dich.
Ja, und wohin trägt sie dann, die Leidenschaft? Es stellt sich ja immer noch die Frage: „Wo ist der Markt dafür?“
Auch hier findet Jenna Martin eine unübliche Antwort. Sie sagt: Es gibt immer einen Markt!
Das ist schon ein Hammer, den man sich mal auf der Zunge zergehen lassen muss.
Es gibt immer einen Markt.
Die Frage, die man sich demnach stellen sollte, ist nicht mehr „Bezahlen die Leute mich dafür?“, sondern vielmehr „Wie kann ich die Leute davon überzeugen, dass meine Arbeit ihr Geld wert ist?“
Wie funktioniert der Markt?
Auf dem Markt gibt es zwei Arten von Nachfrage. Die nach Dingen, die die Menschen brauchen und die, die Menschen wollen. Wenn du einen Beruf lernst, in dem du Dinge tust, die die Menschen brauchen, bist du auf der sicheren Seite. Als Steuerberater, als Arzt, usw.
Eltern, deren Kinder eine künstlerische Laufbahn anstreben, empfehlen diesen oft, „doch erstmal was Richtiges zu lernen, nur zur Sicherheit“. Den Satz hören Kinder eher nicht, wenn sie Medizin oder BWL studieren wollen.
Auf der anderen Seite gibt es …die Kunst. Sie ist etwas, das die Menschen nicht brauchen, oft aber eben wollen. (Wobei es auch die Ansicht gibt, dass Menschen Kunst brauchen. Aber das ist ein anderer Diskurs.) Für viele Menschen ist es schwierig, zu verstehen, dass z.B. Fotos 1000 EUR oder mehr kosten können, wenn sie nicht zu der Gruppe von Menschen gehören, die bereit wäre, dafür diesen Preis zu bezahlen (also für etwas, das man nicht braucht).
Und an dieser Stelle ein kleiner Exkurs zur Hochzeitsfotografie. Es gibt nach meiner Erfahrung einen Unterschied zwischen den Fotos, die ein Brautpaar braucht und denen, die es wirklich will. Erstere sind die Fotos, die „man eben so macht“ und eigentlich mehr „für die anderen“. Dafür will man logischerweise nicht viel Geld ausgeben.
Es gibt Paare, die suchen nach „einem Fotografen“, der ihre Hochzeitsbilder macht. Und es gibt Paare, die suchen nach „dem Fotografen“. Hochzeitsfotos als Notwendigkeit versus Hochzeitsfotos aus Leidenschaft. Hier ist sie also wieder – die Leidenschaft. Wollen braucht Leidenschaft. Also auch schon auf der Kundenseite. Die Leidenschaft des Paares für ihre Hochzeit und bildhafte Erinnerungen daran, trifft auf die Leidenschaft des Fotografen, diese Bilder einzufangen. So kann etwas Besonderes entstehen. Diese Bilder haben einen besonderen Wert. Ideell, aber auch materiell. Was dann beiden Seiten problemlos einleuchtet.
Von den Fotos, die jemand als blosse nüchterne Notwendigkeit betrachtet, können Fotografen dann tatsächlich nicht leben. Aber die machen sie auch nicht mit Leidenschaft. Hier schließt sich der Kreis.
Von der Leidenschaft zum Markt
Heutzutage gibt es tatsächlich für nahezu alles einen Markt. Die Aufgabe, der sich Künstler stellen müssen, wenn sie von ihrer Leidenschaft leben möchten, ist, ihr Publikum auf dem Markt zu finden. Und hier trifft man dann auf klassisches Marketing.
Den Artikel von Jenna Martin auf Englisch kannst du hier nachlesen: https://iso.500px.com/how-do-what-you-love-can-be-a-realistic-career-option/
Auf den Artikel aufmerksam gemacht hat mich wiederum ein Artikel im Blog kwerfeldein.de.
Du kannst gerne einen Kommentar hinterlassen.
Hi, Jenna muss ein fazinierender Mensch sein. Deine Interpretation geht unter dir Haut und macht Mut. Eine interessante Gegenfrage wäre vielleicht: Den Beruf zur Leidenschaft machen. Geht das auch? Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass letztendlich jeder Beruf dazu dient seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und ich glaube auch daran, dass keine Tätigkeit, die man 5 Tage die Woche und 9h am Tag ausübt auf lange Sicht die pure Leidenschaft bleibt. Ich glaube, zum Erfolg führten nur der Weg sich die Leidenschaft möglichst lange und nachhaltig zu erhalten. Vielleicht ist die Einstellung zur Arbeit dabei die entscheidende Bedeutung? LG
Da streifst du einen interessanten Bereich, nämlich die Zukunft von dem, was wir Arbeit nennen.
Meine Einstellung zur Arbeit hat sich über die Jahre meiner Selbstständigkeit sehr verändert. Und inzwischen verwende ich den Begriff Arbeit im Alltag gar nicht mehr.
Was die Frau Martin da schreibt, ist grundsätzlich richtig: je intensiver sich jemand mit einer Thematik beschäftigt oder je intensiver jemand an seinen Fertigkeiten arbeitet, desto besser wird der- oder diejenige auf seinem jeweiligen Fachgebiet werden. Ein Vorgang, der (Überraschung!) im Allgemeinen als Lernen bezeichnet wird. Unter Lernpsychologen allgemein anerkannt ist auch die Tatsache, dass intrinsisch motiviert Lernende, sprich Menschen, die von einer Passion getrieben werden, effektivere Lerner sind. So weit so gut. Wir wissen jetzt also, dass man als Autodidakt professionelles Niveau erreichen kann. Dass heißt aber noch lange nicht, dass man aus seiner Passion (was auch immer das sein mag), eine Karriere machen kann. Was sie dort schreibt, entspringt doch sehr naiven Vorstellungen bzw. sind nichts als lose Behauptungen:
„The point is, whether the market exists or not isn’t the problem — it’s real and it’s there. “
(„Der Punkt ist, ob der Markt existiert oder nicht, ist nicht das Problem — er ist echt und er ist da.“)
Um zu verdeutlichen, was sie dort getan hat, formuliere ich den Satz ein wenig um:
Der Punkt ist, ob Gott existiert oder nicht, ist nicht das Problem — er ist echt und er ist da. Aha!
Meiner Meinung nach ist das, was sie dort schriebt, nicht mehr als heiße Luft, denn es gibt eben nicht für jedes Produkt oder jeden Service ausreichend Nachfrage. Das ist rein mathematisch überhaupt nicht möglich. Dieser Zustand wäre zwar super für uns alle, die Realität sieht nur leider völlig anders aus.
Danke, dass du deine Meinung hier teilst. Ich denke, da kann es viele Sichtweisen geben. Gerade der Begriff „Realität“ ist ja kein wirklich fest stehender. Jeder Mensch lebt in seiner eigenen Realität. Auch wenn es natürlich Schnittpunkte gibt, in denen wir uns alle über den Weg laufen. Spannend ist, dass die Realität gestaltbar ist. Da gibt es sehr interessante Ansätze, die in der Psychologie (und in der Philosophie) gefunden und angewandt werden. Und aus der Ecke kommt Jenna Martin ja auch.