Eine wichtige Regel in der journalistischen Fotografie lautet: Kontext. Erst durch den Zusammenhang kann man auf die Geschichte hinter dem Bild schliessen.
In meinem Luminar Live Webinar in der letzten Woche ergab sich darüber eine kleine Diskussion, die ich hier gerne aufgreifen möchte.
Bei diesem Foto vom Reiher schieden sich die Geister.
Erich war da ein toller Schnappschuss gelungen. So dicht fliegen einem Reiher nicht so oft vor die Füsse. Er hat offenbar schnell reagiert und im richtigen Augenblick abgedrückt, um diesen Moment festzuhalten. Doch: Da waren eine Mülltonne und ein Teil einer Bank im Bild, die wir normalerweise einfach hätten weg retuschieren können.
Aber ich wollte nicht!
Mein Journalistenherz schlägt bei so einem Bild nicht nur wegen des Reihers höher. Für mich stellen die Bank und die Mülltonne auf perfekte Weise die Verbindung zum Alltag eines Spaziergängers her.
Sehe ich sonst ein Foto von einem schönen Vogel im freien Flug, gehe ich davon aus, dass hier ein Naturliebhaber einigen Aufwand betrieben hat, sich durch die Wildnis gepirscht und an entlegenen Orten auf die Lauer gelegt hat, um nach Tagen des geduldigen Wartens endlich ein seltenes Tier vor die Linse zu bekommen.
Doch hier: Einfach so präsentiert sich dieser wunderbare Vogel dem geneigten Fotografen. Das macht für mich dieses Bild so besonders.
Foto: Erich Bähler / Bearbeitung: Hendrik Roggemann
Im Webinar haben wir trotzdem noch einiges am Bild verbessert, weil zwar der Moment stimmte, aber Farben und Kontraste noch nicht optimal waren.
Ich habe dann im Nachgang doch die Mülltonne und die Bank auch einmal heraus retuschiert. Ich will mir ja nicht nachsagen lassen, dass ich nicht offen bin oder bloss zu faul war. Die Retusche hat mit dem Reparaturwerkzeug (und ohne Absturz!) keine fünf Minuten gedauert.
Das Ergebnis gefällt mir ebenfalls gut. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass es schade wäre, die tolle Entstehungsgeschichte nicht im Bild zu zeigen.
Und wie würdest du entscheiden? Schreibe deine Meinung gerne in die Kommentare.
Moin.
Ich finde das retuschierte Bild besser, denn es ist harmonischer und damit stimmungsvoller.
MfG
Michael Reese
Mir gefällt das Bild mit Bank und Papierkorb sehr viel besser. Das retuschierte Bild ist zwar ein schönes Landschaftsbild, aber doch – nicht böse gemeint – etwas langweilig. Im Gegensatz dazu erzeugen die beiden Gegenstände eine gewisse innere Spannung im Bild, gleichzeitig bilden sie eine Art Rahmen für den Vogel. Und inhaltlich ergibt sich eine Aussage von friedlichem Miteinander von Natur und Zivilisation
. Also meiner Meinung nach stören Bank und Papierkorb überhaupt nicht sondern werten das Bild auf.
Hoi,
der Meinung von Heidi Roggemann kann ich mich voll und ganz anschliessen. Ohne den Kontext Papierkorb und Bank ist es wirklich ein Allerweltsbild wie es schon hundertfach gemacht wurde.
Grüsse aus der Schweiz
Reinhard F. Schramm
Mir gefällt das retuschierte Bild besser. Die Mülltonne ist einfach zu dominant. Mein Blick fällt zuerst auf die Tonne, dann erst auf den Reiher.
Viele Grüße
Gerd
Wie so häufig liegt es wohl im Auge des Betrachters 🙂 und in der Intention des Fotografen.
Wenn ich die Fotos betrachte sehe ich:
Das Foto „ohne“ zeigt ein sehr gelungenes Foto von einem Reiher. Ein tolles Naturfoto, wofür man Geduld braucht. Der Reiher könnte irgendwo in nahezu unberührter Natur sein.
Das Foto „mit“ hat – wie schon im Artikel erwähnt – die Entstehungsgeschichte mit im Paket… rein zufällig, sozusagen nebenbei entsteht dieses Foto. Der Reiher befindet sich ungewöhnlich dicht an einem Spazierweg.
Nun ist es an dem Fotografen zu entscheiden, was er transportieren will. Ein schönes Naturfotograf oder eine Geschichte 🙂 Beide Versionen haben daher wie ich finde ihre Berechtigung.
Ich finde beide Fotos schön. Mit dem Mülleimer und der Bank ist top. Ich bin auch kein grosser Retouschierer. Top gemacht
Ich würde die Mülltonne wegmachen und die Bank drinlassen.
Die Mülltonne ist schon sehr prominent, die Aufmerksamkeit sollte in erster Linie dem Vogel gehören.
Aber das kleine Stück der Banklehne ist wichtig für den Eindruck des Moments der Aufnahme.
Ich bin ja absolut gegen diese „Verschlimmbesserungen“, die vor allen anderen Programmen besonders Luminar praktiziert.
Aber in diesem Bild verschandeln die Mülltonne und die Bank die Natur und die Retusche ist motivgerechter.
Ich schließe mich der Meinung von Gerd an. Die Mülltonne ist viel zu dominant.
Für mich gibt es aber auch einen Mittelweg .Ich würde den Müllbehälter entfernen, die Bank aber mit ins Bild einbeziehen..
So würde trotzdem der besonere Augenblick gezeigt und der häßliche Müllbehälter wäre aussenvor.
Mir will einfach nicht in den Kopf, wie ein häßlicher Müllbehälter, ein ansonsten schönes Bild aufwerten kann.
Grüssle aus Waiblingen
Wolfgang
Ich habe mir seit dem Webinar-mitschnitt schon mehrfach dieses Bild angeschaut, sehr unsicher, wie ich entscheiden würde. Klar ist die Mülltonne sehr dominant, aber: Ohne Tonne und Bank fliegt der Reiher für mich in den Baum, dieser Ausschnitt stimmt für mich nicht. Für so ein Bild müsste der Reiher in die andere Richtung fliegen mit viel Luft nach vorne. Leider kann man sich das nicht immer aussuchen. Also entscheide ich mich für die Mülltonne und Bank. Allerdings mit einer Anmerkung. Ich würde nur die Mülltonne in ihrer Helligkeit, vielleicht auch Klarheit etwas zurücknehmen
Wird man beim Wandern oder Sparziergängen vom auftauchen eines scheuen Tieres überrascht, oder hat sogar vorausschauend die Kamera auf schnelle Verschlusszeit schon eingestellt, gilt ja nur eines, möglichst flott sein und mit einer schnellen Serie Bilder einzufangen. Da spielt es keine Rolle welche Bank, welcher Abfallbehälter oder dgl. sich im Motivbereich befindet. Mir ist nur nicht ganz klar, warum sich ein Reiher in der Nähe eines kleinen Baches aufhält, meist hängen sie in Bäumen und Sträuchern an Seen herum, da im ruhigeren Gewässer auch die Nahrung an Fischen besser auszumachen ist. Hat sich wohl verirrt oder ist aufgescheucht worden. Normalerweise kommt man diesen Vögeln nur über ein Tele näher. Vielleicht ist in der Nähe auch ein kleiner See, oder ein Weiher wo er sich aufgehalten hat. Jedenfalls ist es ein schöner Schnappschuss, dazu noch mit solch einem eleganten Tier und es ist doch egal ob da nun ein Abfallbehälter mitten im Bild hängt. Die Bank alleine würde ja sowieso nicht so stören. Der Fotograf kann sich an beiden Darstellungen erfreuen, denn darüber hinaus gab es ja an dem Bild im Live-Seminar noch einiges an wichtiger Bearbeitung vorzunehmen. Nebenbei bemerkt, hat natürlich der Abfallbehälter auch seine Berechtigung, aber da könnte es eine andere Geschichte dazu geben. Glückwunsch an den Fotografen, dem diese Aufnahme gelungen ist.
Gruß aus Nürnberg
Dieter Böhm
Das Bild entstand an einem Dorfbach im Schwarzenburger-Land (CH) Da hier ein Wanderweg vorbeiführt ist hie und da ein Reiher auf Nahrungssuche anzutreffen.
Durch ruhiges Verhalten konnte ich mich dem Reiher, mit vorbereiteter Kamera (16-50 DX Zoom), bis auf ca. 6 m nähern und sobald er sich erhob mein Bild schiessen.
Wie schon erwähnt ist bei einem solchen Schnappschuss das Umfeld nicht vorzuwählen, daher finde ich beide bearbeiteten Bilder sehr gelungen.
Das Bild mit Abfallkorb gibt die Aufnahmesituation mit dem scheuen Tier sehr gut wieder.
Gruss aus Schwarzenburg (CH)
Erich Bähler
Beitrag ist zwar schon ein paar Tage alt, aber ich finde, wie Reinhold, Papierkorb weg und Bank lassen. Gibt dem Bild auch eine gewisse „Tiefe“. Der Papierkorb ist dem Fall wirklich der „Hingucker“. Richtig ist, daß mit dem heute immer mehr zur Verfügung gestellten Möglichkeiten viel zu viel (vermutlich) retuschiert wird. Bin selbst kein Freun davon. Da ich mit der analogen Fotografie angefangen habe (alte Box-Kamera- da hatte der Film, hmmm 6, oder 12 Bilder) und ein Bild noch „richtig Geld“ (später dann DIA-Film) gekostet hat, versuche ich mich immer noch im Fotografieren und nicht nur, wie heute täglich zu sehen, zu knipsen. Wenn es die Situation erlaubt, also 3x in den Sucher geschaut. Hat aber nichts mit diesem Bild zu tun, da der Situation geschultet, mit der ich auch immer wiedr zu kämpfen habe: Oft stört irgendwas im Bild… Es gibt sowieso viel zu viele Papierkörpe. Die Leute sollten ihren mitgebrachten Müll lieber mit nach Hause nehmen, wenn sie wandern gehen. Funktioniert- mache ich auch so.
Es geht meiner Meinung nach immer darum, was mit dem Foto gezeigt werden soll. Ist die Mülltonne Teil der Geschichte? Dann drin lassen. Lenkt die Mülltonne (oder ein anderes Element) ab, dann rausnehmen. 🙂
Hallo Hendrik,
ein wirklich spannendes Thema, das du hier ansprichst! Gerade als Fotograf finde ich es immer wieder faszinierend, wie sehr Kontext die Bildwirkung beeinflusst. Die Frage, ob man „störende“ Elemente wie eine Mülltonne oder eine Bank entfernt, hängt für mich ganz klar davon ab, welche Geschichte man erzählen will. In deinem Beispiel mit dem Reiher bringt die Mülltonne genau die Alltagsnähe, die dieses Bild besonders macht und die oft gerade die journalistische Fotografie so authentisch macht. Es erinnert uns daran, dass die Natur direkt vor unserer Haustür ist – mitten im Alltag und nicht nur in entlegenen Naturschutzgebieten.
Natürlich gibt es auch die andere Seite: ein harmonisches, „sauberes“ Bild ohne Ablenkung hat seine ganz eigene Ästhetik und Faszination. Letztlich ist es doch eine kreative Entscheidung, bei der beide Varianten ihre Berechtigung haben. Vielen Dank für deinen inspirierenden Beitrag!
Viele Grüße,
Marc